Zum Hauptinhalt springen
Logo Diakonie München und Oberbayern

Olympiasieg

nur ohne Medaille

Autor: Michael Netzhammer
Fotos: Erol Gurian

04. Februar 2025

Menschen im Zuverdienst erhalten nur einen kleinen Lohn. Dafür jedoch arbeiten sie in einem beschützten Umfeld, in dem die Leistung nicht im Vordergrund steht. Und sie sind unter Menschen. Mit 81 Plätzen ist diakonia der größte bayerische Anbieter im Bereich Zuverdienst. Das ist herausfordernd – und gleichzeitig eine Brücke ins Leben.

lächelnde Mitarbeiter der diakonia hinter Computer Bildschirm

Sinnvolle Arbeit, die Freude macht

Lisa mag ihren Arbeitsplatz. Dabei liegt dieser im Keller des Kaufhauses von diakonia. Lisa, die eigentlich anders heißt, geht an Papiercontainern vorbei, an Kisten mit Geschirr, durch verwinkelte Räume. Links beginnt ihr Reich. Hier stehen Regale, darin viele hundert Bücher, fein sortiert nach Rubriken. „Kinder“ ist da zu lesen, „Hobby“, „Religion“. Es ist das Vorratslager für die Bücherabteilung zwei Stockwerke darüber. Eine von Lisas Aufgaben ist es, die Regale im Verkaufsraum des Kaufhauses immer ordentlich zu bestücken.

Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass wir die Bücher verkaufen und sie wieder gelesen werden“, sagt Lisa.
Beratungssituationbeim Bücherkauf im diakonia Kaufhaus

Im Kontakt mit anderen Menschen
Lisa berät die Kund*innen gerne bei der Auswahl der Bücher im diakonia kaufhaus – ob Belletristik oder Fachbuch.

Erwerbsminderungsrente als Voraussetzung

Wer wissen will, was Zuverdienstler*innen sind, der muss in den ersten Stock gehen, zu Stephanie Kramer. „Darauf gibt es keine einfache Antwort, jedenfalls keine kurze“, sagt die Prokuristin und lacht. „Die Menschen im Zuverdienst können aufgrund einer psychischen Krankheit dauerhaft nicht mehr arbeiten, wünschen sich aber eine Tagesstruktur und eine Aufgabe, in der sie sich als wirksam erleben dürfen“, sagt sie. Dafür gibt es eine Reihe formaler Voraussetzungen: Zuverdienstler*innen müssen dauerhaft erwerbsunfähig und unter 67 Jahre alt sein. Deshalb dürfen sie auch nie mehr als drei Stunden täglich und bis zu 14,99 Stunden pro Woche arbeiten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann diakonia der einzelnen Person einen Zuverdienstplatz anbieten.

In ganz Bayern gibt es aktuell 1.900 Zuverdienstplätze. „Mit unseren 81 Plätzen sind wir in dieser Kategorie der größte Anbieter in Bayern“, erklärt die Prokuristin. Mit dem Angebot Zuverdienst ermöglicht der Bezirk Oberbayern als Zuschussgeber Betroffenen nicht nur eine Tagesstruktur, sondern auch eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. „Dies stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit und kann soziale Isolation, die oftmals mit psychischen Erkrankungen einhergeht, bekämpfen“, sagt Stephanie Kramer.

Fachanleiter Thorsten von Eyb unterstützt Kisa bei der Arbeit im diakonia Kaufhaus
Hände die Bücher sortieren im kaufhaus der diakonia

Rundum gut unterstützt
Fachanleiter Thorsten von Eyb ist für alle Fragen zur Stelle. Zu Lisas Aufgaben gehört auch, die Bücher mit einem Barcode zu versehen und in die Regale einzusortieren.

Individuelle Stärken herausfindenen

Dafür ist diakonia gut aufgestellt. Nicht nur Lisa hat zwei Ansprechpartner: ihren Abteilungsleiter Thorsten von Eyb und ihren Sozialarbeiter Christos Liaras. Der Sozialpädagoge geht regelmäßig durch den Betrieb und schaut genau hin. „Wir dürfen die Menschen nicht überfordern und wollen ihnen gleichzeitig ein Umfeld anbieten, das ihre persönlichen Herausforderungen berücksichtigt“, sagt der 36-Jährige. Für Menschen mit einer Sozialphobie ist der Verkaufsraum vielleicht nicht der richtige Ort. Bei anderen gibt es Rückschläge, weil ihre Medikamente umgestellt wurden. „Für alle muss die Beschäftigung immer wieder neu angepasst werden“, sagt Liaras. Und selbst dann kann die Arbeit überfordern, nicht wenige müssen daher wieder aufgeben. Viele andere aber stabilisiert die Arbeit. Und der Kontakt zu anderen Menschen reißt sie aus der privaten Isolation. Diese Gratwanderung zwischen Überforderung und Herausforderung ist für Christos Liaras und für diakonia als Arbeitgeber die schwerste Aufgabe.

Mit 81 Zuverdienstplätzen ist diakonia der größte Anbieter in Bayern. Insgesamt stellt der Freistaat 1.900 Zuverdienstangebote zur Verfügung.

Odyssee durch soziale Einrichtungen

Lisa ist jetzt seit sieben Jahren dabei. Das ist wie ein Olympiasieg – nur ohne Medaille. Als junge Frau hatte sie eine Ausbildung begonnen und dabei eine Angststörung entwickelt. „Damals begann meine Odyssee durch viele Einrichtungen“, sagt sie. Nach und nach fasste sie Fuß. „Ich lebe mit zwölf anderen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft“, erzählt sie. Und fährt gerne 45 Minuten zur Arbeit.

Am Lohn kann es nicht liegen. Zwei Euro pro Stunde und die Monatsfahrkarte erhält sie zusätzlich zu ihrer Rente. Von einer Freundin hat sie vor Jahren erfahren, dass diakonia Zuverdienst-Jobs anbietet. „Ich habe damals in einer Werkstatt für geistig behinderte Menschen gearbeitet. Ich wollte aber mit Menschen arbeiten, die ich besser verstehen kann“, sagt sie.

Das kann sie nun bei diakonia. „Meine Kolleg*innen sind alle total nett, wir haben Spaß zusammen, machen jedes Jahr einen gemeinsamen Ausflug“, sagt sie. Ihre Hoffnung: „Dass es so weitergeht.“

Hier geht’s zum Zuverdienst

Damals rief sie einfach bei diakonia an, stellte sich vor und bekam die Stelle. Das ist aber nur ein Weg zum Zuverdienst. „Über offene Stellen informieren wir unsere Kooperationspartner, allen voran Beratungsstellen oder psychiatrische Kliniken, und natürlich auch auf unserer Webseite“, sagt Stephanie Kramer. Umgekehrt fragen zum Beispiel gesetzliche Betreuer*innen an, ob es offene Stellen gibt.
Fachanleiter Thorsten von Eyb unterstützt Kisa bei der Arbeit im diakonia Kaufhaus

Der passende Job
Mode und Styling sind genau Enis Ding – bei ihrer Arbeit im diakonia kleidsam ist sie daher ganz in ihrem Element..

Für viele meiner Mitarbeiterinnen ist das kleidsam ein wichtiges soziales Umfeld“, sagt Astrid Harry, die Leiterin des Secondhand-Ladens.

Ein Teil der Gesellschaft sein

Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Eni im kleidsam. „Wenn eine neue Mitarbeiterin eingearbeitet wird, stelle ich ihr sehr gerne Eni zur Seite“, sagt Astrid Harry. Sie selbst ist bereits seit kurz nach der Eröffnung – vor 20 Jahren – im kleidsam dabei. Die Boutique ist das Flaggschiff unter den insgesamt acht Secondhand-Läden von diakonia. Circa 150 Mitarbeiter*innen arbeiten bei diakonia secondhand, viele von ihnen sind im Zuverdienst, im kleidsam zum Beispiel sechs Frauen.
Second Hand Storeleiterin Astrid Harry mit Mitarbeiterin
Mitarbeiterin diakonia secondhand mit Hut in der Hand

Vielfältige Aufgaben
Eni geht gern mit Mode um; Das Dekorieren des Verkaufsraums (links im Foto in Zusammenarbeit mit der Storemanagerin Astrid Harry) und das Präsentieren der Kleidungsstücke machen ihr besonderen Spaß.

Die Beschäftigung von im Zuverdienst arbeitenden Frauen fordert Astrid Harry auch heraus. „Die Mitarbeiterinnen müssen sich häufiger krankmelden“, erzählt sie. Für sie selbst heißt das: flexibel agieren, kreativ sein. Gleichzeitig macht ihr die Arbeit mit den verschiedenen Mitarbeiterinnen Spaß. Und sie will eine Atmosphäre schaffen, fernab von Mobbing und Stress. „Für viele meiner Mitarbeiterinnen ist das kleidsam ein wichtiges soziales Umfeld“, sagt Harry. Genau deshalb seien die Zuverdienstangebote so wichtig. Denn hier erfahren Menschen Wertschätzung und sind ein Teil der Gesellschaft.